Hans-Josef Wüst -
80. Geburtstag
Predigt von Pirmin Spiegel, Hauptgeschäftsführer und Vorstandsvorsitzender des Bischöflichen Hilfswerkes MISEREOR
1. Von der Welt erzählen
Was wird uns heute von wem über unsere Well erzählt? Mir scheint wichtig, sich bewusst zu machen, wie wir über die Well reden. Denn wie wir über die Well reden und sie verstehen - davon handelt auch der Text der Emmaus-Geschichte, Wir hörten, wie zwei Jünger einem mitgehenden Unbekannten berichten, was in Jerusalem geschehen ist. Sie erwarten den Umsturz ihrer Welt - aber alles ist schiefgegangen. Wie also reden wir über unsere Well heute? Da gibt es viele, große und globale Herausforderungen:
· -- weltweiter Hunger, Armut, Klimawandel. Ulmweltzerstörung, Krieg, Gewalt,
Flucht, Migration,
· -- Krankheiten, wie HIV/Aids, Ebola, Malaria, Tuberkulose, ..
Was oder wer sind die Treiber dieser Herausforderungen? Wer die Gewinner und wer die Verlierer dieser "Entwicklungen"? Nach der Nichtregierungsorganisation Oxfam werden im kommenden Jahr 1% der Menschen so viel Vermögen haben wie 99 % der Menschen, die auf unserem Erdplaneten leben. Da sind Grenzen überschritten. Das geht gar nicht.
Es gibt wissenschaftlich-technische Lösungsansätze, um diese Probleme anzugehen und sie zu überwinden. Mir scheint, dass von diesem Ansatz alleine her die Ursachen nicht überwunden werden. Viele von uns hier, Partnerorganisationen, Misereor... wir sind überzeugt, dass wir einen grundsätzlicheren Wandel des Denkens brauchen, damit ökologisch-sozialer Wandel möglich wird. Misereor halte als Motto der Fastenaktion 2015: „Neu denken! Veränderung wagen." Wir müssen unsere Lebensweise hinterfragen, was und wie viel wir konsumieren. Und auf wessen Kosten wir konsumieren. Zusätzlich braucht es organisierte politische Durchsetzungskraft. In der Demokratie braucht es dazu Mehrheiten, Diese Analyse, diese Sichtweise ist nicht neutral, sondern parteiisch: aus welcher Perspektive erzähle ich sie? Gegenüber Armut und Ausgrenzung, gegenüber den Verletzlichsten darf es keine Neutralität geben!
2. Auf die Perspektive kommt es an
Aus welcher Perspektive werden Hunger, Gewalt. Krankheiten, ...gesehen? Aus der Perspektive der Hungernden in Brasilien, der Näherinnen in Bangladesch, der schutzlos den Taifunen ausgesetzten auf
den Philippinen Die Hungernden erzählen nicht zuerst von größeren Traktoren oder besserem Zugang zu globalen Märkten. Sie reden davon, dass sie mit ihrer eigenen Kraft sich ernähren wollen, dass
sie für ihre Kinder eine bessere Zukunft wollen, dass sie fortmüssen, wenn sie nicht vor Ort in Sicherheit leben können, Hans- Josef, Du hast gelernt, zuzuhören und zu erzählen. Du bist in die
Schule des Hinschauens und Hinhörens gegangen:
·-- Im Nordosten Brasiliens (I968-81)
·-- Im Gallus und in Frankfurt (seit 1982)
·-- In den 90ger Jahren in einer der Lungen unseres Erdplaneten: Amazonasregion
Was deine Herkunft aus dem Westerwald dazu beigetragen hat: Erdverbundenheit, Gemeinschaft, Füreinander einstehen.
1935 geboren zu werden heißt, bei Kriegsende 10 Jahre alt gewesen zu sein. Die Jugend auf dem Land in herausfordernden Verhältnissen erlebt zu haben. Heißt von den Wohltaten eines beginnenden
Wirtschaftswunders gehört zu haben Du hast in Brasilien und Frankfurt die Träume der Menschen von einem besseren Leben gehört: dabei sein, dazugehören. Würde, Respekt, gute Schulbildung für die
Kinder, keine Sorgen um das Alter, menschliche medizinische Versorgung, etwas Wohlstand. Es ist die Perspektive der Schwachen, der Armgemachten, der Entmutigten, der... die mit ihrem Blick auf
die Wirklichkeil Dich, Hans-Josef, gelehrt haben, was sie unter einem guten Leben verstehen. Sie haben Vorschläge für ihr Leben. Bei Dir, Hans-Josef haben gerade diese Menschen Platz: Du bist
fähig, ihnen Mut zum Sprechen zu ermöglichen, weil Du offen zuhörst. Eine Haltung, die Daniela Dahn bei Egon Bahr (zu dessen 80 Geburtstag) so umschrieb: „Aus dem Einfühlungsvermögen in den
einzelnen Menschen erklärt sich sein Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Menschheit". Du bist immer wieder fähig, andere zu überraschen; Menschen so zu sehen, wie sie sind ... und damit
das zu sehen, was notwendig ist. Dafür steht deine Tür stets offen: symbolisch und real (Haltung). Tür offen, um willkommen zu heißen, zum Zuhören Du gibst Wünschen und Bedürfnissen Raum, da, wo
Menschen sich im Leben verhakt haben ... Lösungen mit erarbeiten. Du wird greifbar: Kirche geht mit den Menschen mit (nicht weil sie alles weiß, sondern weil das Leben ihre Herzensangelegenheit
ist). Danke! Hier bei den Leuten hast Du eine Mitte gefunden, von der aus das Erzählen vom Glauben Sinn macht.
3. Die gemeinsame Erzählung vom guten Leben
Schauen wir noch mal auf den bisherigen Gedankengang zurück:
·-- Vom Leben erzählen und darin „Heilung" suchen
·-- Aus der Perspektive derer erzählen, die hungrig sind, die verletzt sind, denen Rechte
vorenthalten werden
Carlos Mesters [brasilianischer Biblist) sagt, dass wir die Bibel und die Heilige Schrift nur verstehen, wenn wir sie mit den Augen und aus der Perspektive des leidenden Volkes, der leidenden
Menschen lesen. Blick darauf lenken, dass die Jünger gemeinsam nach Emmaus unterwegs sind und dass sie dem Fremden, der sich zu ihnen gesellt, etwas von ihrer Vision des guten Lebens erzahlen: Im
Evangelium von heute heißt es von Jesus: „Wir über halfen gehofft dass er der sei, der Israel erlösen werde" -- der Prophet, der Messias wurde erwartet. - Jesus hätte eine konkrete Veränderung in
ihrem Leben gebracht. Befreiung vom politischen und finanziellen Joch der römischen Machthaber. Freiheit, Selbstbestimmung. Dieser Plan scheiterte am Kreuz. Frustration, Enttäuschung,
Zersplitterung machen sich breit. Der Messias ist tot. Selbst das Grab ist leer Weg von diesem Ort! Wir heute würden sagen: Wir hoffen, dass genug für alle da ist und das. was da ist in gerechter
Weise geteilt wird; Würde, Respekt vor der Schöpfung. Und auch unsere Pläne scheitern immer noch. Klar, manches gelingt, aber der große Durchbruch scheint nicht möglich zu sein. Auch wir sind
aufgeteilt in viele Gruppen, die sich teils nicht gut gesonnen sind. Konflikte um den richtigen Weg, um Macht gehören zum menschlichen Leben dazu. Erst im Nachhinein entdecken wir, was auch die
Jünger erst im Nachhinein entdecke haben. Ein Fremder öffnete ihnen die Augen: „Während sie redeten und ihre Gedanken austauschten, kam Jesus hinzu und ging mit ihnen." (Lk 24,15) Es ist erst im
Rückblick zu erkennen, wie Befreiung verlauft. Scheitern gehört mm Weg der Befreiung. Aber die Hoffnung, dass das Leben stärker ist, dass es weiter geht -- die bleibt. Wir können Botschafter und
Botschafterinnen sein, dass unsere Well nicht eine gottverlassene ist. dass eine andere Welt möglich ist. Dcr gemeinsame Weg gipfelt im gemeinsamen Brotbrechen: hier wird erfahrbar, dass es ums
Sattwerden geht, dass jede und jeder genug haben möge. Darin erkennen die Jünger das Vermächtnis Jesu wieder.
4. Die Möglichkeit ins Spiel bringen, dass Christen und Christinnen, dass Kirche weiter erzählen kann -- um die Welt zu verändern
Die klassische Erzählung für die Erschließung des Evangeliums in heutiger Zeit: Mitgehen - Zuhören - Erschließen - Brot brechen - Weiter erzählen. Es braucht das gemeinsame Erzählen von
Erfahrungen. Gute Geschichten erzählen! Wer von uns kennt nicht Geschichten von Dir, Hans-Josef, und wir kennen diese mehrmals ... Auch beim 20. Mal des Zuhörens werde ich nicht müde, weil das
Feuer und die Leidenschaft durch- scheinen.
Es braucht die Deutung des Erfahrenen. Gemeinsam sprechen, damit die Tradition des kritischen Potentials des Evangeliums gelingen kann. Wem nützt es wenn die Kirche heute verstummt? Den Armen
eher nicht -- denn sie verlieren Begleitung, Fürsprecher/innen, Mitleidende. Auferstehung wohin? Woher? Aufgabe ist es, uns unsere Erfahrungen zu erzählen und darin die Spur eines größeren
Zusammenhangs zu entdecken, zu konstruieren, die Spur des Glaubens zu legen. Die Geschichte vom geteilten Brot weiter zu erzählen -- das ist eine der wesentlichen Stärken unserer
Eucharistiefeiern. Mehrere tausend Mal wird jeden Sonntag in Deutschland erzählt, wie sie aussahen soll, die bessere Welt: die Visionen einer besseren Welt hören (im Evangelium), unser Scheitern
trotz aller Bemühungen anerkennen (Schuldbekenntnis) -- und das Brot teilen, den Wein teilen.
Lass(t) mich enden mit den Worten von Dom Pedro Casaldáliga. Die sind 20 Jahre alt. Deren Rhythmus und Inhalt bleiben gültig:
„Sein Name ist Hans-Josef und er wurde zum Joao von Bahia. So verstanden und sahen ihn die Fischerfamilien von Vila de Abrantes... Wie bei Jesus war sein pastorales Konzept Befreiung. An den Rändern des Rio Negro, am Amazonas, lernte er die Geheimnisse des Urwaldes und den Rhythmus der Menschen -- langsam, einfach und frei... Tief im Herzen lebt die Solidarität, die fähig ist, aus verschiedenen Welten eine zu machen. Mit den Märtyrern, den Straßenkindern. mit den Indigenen, mit den Ausgeschlossenen des Systems, die im Gottesreich bereits einen festen Platz haben. Dir Hans-Josef, jenen abraco{von uns allen) -- in der Weggemeinschaft des Geistes Jesu".
Danke. Amen.
Wir sind alle eingeladen, mit ihm zu feiern: am Samstag, dem 11.4. ab 11 Uhr im Josefshaus, Griesheim, Auf der Beun. Der Abschluss des Tages ist um 18 Uhr mit einem Dankgottesdienst mit Bischof Dom Edson aus Sao Gabriel/Brasilien. Über einen Beitrag für die Menschen am Amazonas würde sich Pfarrer Wüst sehr freuen.
Rundbrief von Pfarrer Wüst mit seinen Aktivitäten im letztem Jahr:
„Es ist nicht alles Gold, was glänzt!“
Predigt zum goldenen Priesterjubiläum
von Hans Josef Wüst
am 8. Dezember 2010 in Maria Hilf, Frankfurt
Hans Josef Wüst, Thomas Schmidt und ich saßen samstags morgens beim Kaffee –was selten genug vorkommt– und flachsten über das bevorstehende Jubiläum. Schon geraume Zeit vorher hatte mich HJW gefragt, ob ich heute predigen würde. - Da kam die Rede auf sein Primizgewand, aus schwerem Goldbrokat gewirkt und einer Zeit geschuldet, in der man sich in der Liturgie noch prächtig gewandete. Manche fürchten ja - nicht ganz zu
Unrecht - diese Zeiten kämen zurück! Ich persönlich fände das gar nicht so
schlimm, wenn Kleidung nicht auch manchmal für ungute Mentalitäten stünde,
nämlich für eine sich selbst feiernde und damit Christus missbrauchende Kirche,
die sich prächtig gewandet und den armen Christus, den Christus der Armen, vergisst.
Hans Josef hat sein Primizgewand - jedenfalls nach seiner Verwandlung vom Saulus zum Paulus, nur noch selten getragen – und auch dann nur aus Dankbarkeit gegenüber seinen
geliebten Eltern, die es ihm zur Primiz geschenkt hatten, an die wir übrigens
heute ganz bestimmt mit Dankbarkeit denken, ebenso wie an seine verstorbene
Schwester Annemie. Was mit diesem Gewand sonst noch passiert ist, darüber
wollen wir schweigen – seine Familie weiß Bescheid! Jedenfalls sagte ich, um
ihn zu foppen, jetzt hätte ich mein Predigtthema für das große Fest gefunden:
„Es ist nicht alles Gold, was glänzt!“ - Und zu meiner Überraschung, vielleicht
auch um mich nun seinerseits zu foppen, sagte er: „Das würde mich sehr freuen!“
So kam ich also zu meinem Predigtthema: „Es ist nicht alles Gold, was glänzt!“ Diese Redewendung ist ja skeptisch gegenüber dem Glanz! Es gibt einen falschen Glanz, der alles andere als von einem edlen Metall ausgeht. Und es gibt Gold, das glänzt nicht, weil es
von einer Schutzschicht überzogen oder von einer Staubschicht bedeckt ist. Und doch ist es wertvoll! Wir können diese Redewendung aber auch gegen den Strich bürsten: Es gibt einen edlen Glanz, der nicht von Gold und Geld, vom „Mammon“, dieser Urversuchung der Menschheit kommt, die das Gold - eigentlich ja ein unschuldiges Metall mit hervorragenden Eigenschaften – zu einem Fetisch macht! Es gibt einen Glanz, der ist etwas wert, obwohl er nicht von Gold oder dergleichen herrührt.
Für mich hat das Hochfest, das wir heute feiern und mit dem sich ja
nicht Wenige schwer tun, viel mit diesem bestimmten Glanz zu tun. Das
Tagesevangelium - bewusst das Selbe wie am Fest der Verkündigung des Herrn -
gibt davon Auskunft: Die junge Frau, die – wider alle berechnende Vernunft -
dieses ebenso wertvolle wie schwere „Ja“ sagt. Dieses „Ja“ durchbricht die
Schuldgeschichte der Menschheit und bringt damit einen unvergleichlichen Glanz
in die Menschheitsgeschichte. Von diesem Moment an ist offenbar, dass sie
Heilsgeschichte ist und dies von ihren Ursprüngen an.
Dort, wo wir dieses „Ja“ der jungen Frau, die damit ihr Schicksal mitbestimmt,
und so Mutter und Urbild der Glaubenden geworden ist, nachsprechen, auch dort,
wo wir es nur zögernd und stotternd tun, dort tauchen wir ein wenig in ihren
Glanz ein und lernen diesen Glanz, der von Gott her auf die Menschheit fällt,
von dem falschen und gleißenden Licht des Mammons und der Macht zu
unterscheiden. Nicht wir glänzen dann! Wir sind vielmehr in seinen Glanz
eingetaucht, den Glanz, der Gottheit und Menschheit verbindet.
Lieber Hans Josef, vor 50 Jahren hast Du der Gottesmutter
nachgesprochen, hast Du im hohen Dom zu Limburg Dein eigenes „Adsum“ gesagt,
Dein persönliches „Ja“ zu Gott, in Deinem Fall als das Ja, ihm in seiner Kirche
als Priester zu dienen. Und da Du ein – auch wenn du es gelegentlich faustdick hinter den Ohren hast – aufrichtiger, aufrechter und ernsthafter Westerwälder bist, hast Du es sicher
aus ganzen Herzen und aus voller Überzeugung getan. Aber eingeholt hast Du
dieses Ja in seiner vollen Bedeutung erst in den fünf Jahrzehnten, die nun
hinter Dir liegen. In dieser Zeit ist Dir erst die ganze tiefe Bedeutung dieses
Ja-Wortes mehr und mehr aufgegangen. Dazu gehört vor allem die Einsicht, dass
Du nicht wirklich zu Gott „Ja“ sagen kannst, wenn Du nicht zugleich auch zu
denen „Ja“ sagst, denen zuerst das „Ja“ Gottes gilt: den Menschen! Wie leicht
kann sich das „Ja“ zu Gott unversehens in ein „Nein“ verwandeln, weil wir nicht
zugleich und mit gleichem Gewicht zu denen „Ja“ sagen, zu denen Gott selbst
sein großen „Ja“ gesprochen hat: zu den Menschen.
Heute wird gerne eine ganze Generation von Priestern mit einem Wort
abgestempelt –zugegeben oft mit feiner und liebevoller Ironie – aber dennoch
abgestempelt, zu denen Du gehörst und auch mit Leib und Seele gehören willst:
die „Konzilspriester“. Hier brauchen wir nicht davon zu reden, ob sie immer
alles richtig gemacht und alles bedacht haben. Wer hat das schon! Aber eines
hat diese Generation, inspiriert vom großen Konzil des letzten Jahrhunderts,
neu entdeckt, den wahren Schatz der Kirche, der oft genug verschüttet war! Pures
Gold wert! Oft überdeckt vom falschen Glanz einer Kirche, die mehr selbst glänzen
wollte, als dass sie genügend Sorge getragen hätte, das sie Gott, dass sie Christus glänzen lässt. Diese Konzilspriester haben neu entdeckt, was es heißt, dass das „Ja“ zu Gott das „Ja“ zum Menschen notwendig bedingt. Was es heißt, dass der Gott ist, der zum
Menschen „Ja“ sagt. Wer zu IHM ja sagen will, der muss dieses SEIN Ja
nachsprechen, SEIN Ja zu den Menschen. Daran orientierten sie sich, in ihrer
Verkündigung, ihre Pastoral und ihrer Diakonie!
„Geschenkt“ wird mancher jetzt denken. Das haben wir doch alle im
Hauptgebot gelernt, das mit der Gottes- und der Nächstenliebe! Aber sind die
Konsequenzen daraus immer auch klar? Wir können zu den Menschen so „Ja“ sagen,
dass unter der Hand ein „Nein“ daraus wird. Wenn wir sie von oben herunter
behandeln! Wenn wir meinen selbst am besten zu wissen, was für sie gut ist!
Wenn wir den Respekt vor ihrer Person und ihrer Freiheit missen lassen. Wenn
wir ihre Würde missachten! Wenn wir sie nicht als Subjekt ihres eigenen
Handelns ernst nehmen. Wenn wir ihnen nicht zutrauen, dass sie ihr Leben selbst
in die Hand nehmen und ihre Probleme selber lösen können, wo sie denn wirklich
eine Chance dazu erhalten. Wenn wir die Umstände, die Machtverhältnisse und
Besitzverhältnisse außer acht lassen, die sie an ihrer Subjektwerdung hindern
und ihrer Menschenwürde berauben! Wenn wir sie nicht in ihrer Eigenart
respektieren, in ihrer kulturellen, sozialen und geschichtlichen Herkunft! Wenn
wir nicht dafür sorgen, dass dieses Ja auch „den Geringsten“ (Mt 25,
31-20) unter ihnen bezeugt wird, den Armen und Unterdrückten, den Migranten im
Gallusviertel, denen im Gefängnis in Höchst, den Prostituierten und
Strichjungen und Drogenabhängigen im Bahnhofsviertel und in der Teestube Jona,
den Alten im Johanna-Kirchner-Heim und den anderen Altenheimen, den Kranken in
den Krankenhäusern.
Wo all dies nicht geschieht, wird aus dem „Ja“ unversehens ein „Nein“ und
führt zu falschem Glanz derer, die das Sagen haben.
Dieses falsche Ja gibt es übrigens in einer linken und einer rechten
Variante, auch das muss gesagt werden, wenn wir vom falschen Glanz sprechen.
Gegenüber solchen Zuschreibungen warst Du, lieber Hans Josef, deshalb immer
skeptisch. Leicht lassen sich, so lehrt die Erfahrung, jene selbst korrumpieren, die einmal ausgezogen sind, den Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit zu befreien. Diese Einsicht darf freilich nicht daran hindern, Strukturen, Macht- und
Herrschaftsverhältnisse, die Menschen unterdrücken und die in letzter Konsequenz ein „Nein“ zu den Menschen bedeuten, deutlich und unmissverständlich als
solche zu benennen; ja bloß zu stellen, im wohlverstandenen Sinne des Wortes zu
„denunzieren“. Dass das Wort Gottes immer zugleich „anuntio“ und „denuntio“, Zusage und Absage, ist, das gehört zum Kernbestand Deiner immer leicht brasilianisch eingefärbten und durch den fleißigen Gebrauch von Gerundien nicht immer leicht verständlichen Predigt. Doch eins wurde darin immer deutlich: Ob das Ja Gottes, wie wir es verkünden, wirklich bei den Menschen ankommt, das ist die Nagelprobe auf diese Verkündigung! Deine Sorge
war und ist, dass die seelsorgerlichen Strukturen, gerade auch die, die wir
gerade schaffen, vor allem aber die Menschen, die in ihnen arbeiten, diese
Nagelprobe bestehen!
Wo hast Du das gelernt? Die wirklich prägende Zeit war für Dich die Zeit
Deines Wirkens in Brasilien, wo Du erfahren hast, dass man mit Menschen
unterwegs sein kann und dass dieser Gedanke der Weggemeinschaft konstitutiv ist
für die Menschwerdung Gottes und für unsere eigene Menschwerdung. Mensch werden
wir, wo wir mit Menschen wirklich unterwegs sind! Einige deiner alten
Weggefährten sind heute hier und darüber freuen wir uns mit dir: über deine Companheiros und Companheiras: Gisah mit ihrer Mitschwester Hylmar, der früheren Generaloberin der Schwestern vom Jesu Cruzificado, dann Jose, Duza, Ignatio und Pedro, gemeinsam mit ihrem heutigem Pfarrer, dem Pfarrer deiner alten und geliebten Pfarrei Vila de Abrantes, Padre Louis, unserem guten Freund. Ihr alle, liebe Freunde, caros amigos, erfüllt heute diese Halle mit wahrem Glanz!- Später hast Du das, was Du in Brasilien erfahren hast, versucht im Gallusviertel weiterzuführen. „Bei uns geht’s zu wie im Busch“, haben manche
gesagt und nicht gewusst, dass das für Dich doch nur ein Kompliment war. Andere
haben begriffen und sind mitgegangen.
Wenn wir heute mit Dir feiern, lieber Hans Josef, dann wollen wir uns
diesem wahren Glanz hingeben, nicht einem falschen Glanz, indem wir dich auf
das Podest stellen. Das hättest Du sicher mehr verdient als viele andere, auch
unter uns, und doch wäre es nicht richtig! Denn wer weiß schon, gerade heute an
einem so glanzvollen Tag, wie viel Scheitern, wie viel Enttäuschungen, wie
viele Misserfolge und Lebensbrüche Du auch immer wieder hinnehmen und verarbeiten musstest, solche die Du vielleicht auch selbst anderen bereitet hast? Wer weiß wie lange es gedauert hat, bis etwa die glanzvollen Projekte am Amazonas ins Laufen kamen, wie viele Rückschläge es gegeben hat und wie viele auch gescheitert sind. Auch hier war und ist nicht alles Gold, was glänzt. Weil’s hier wie dort um Menschen geht, bei denen es
auch immer menschelt.
Es ist für uns, seine Freunde, leicht, sich im Glanz eines Menschen wie
Hans Josef zu sonnen. Ein bisschen davon fällt ja dann auch immer auf einem
selber ab. Aber gerecht wird man ihm damit nicht! „Padre Joao“ wurde er und wird
er in Brasilien liebevoll genannt. Sein Patron ist der, der von sich weg und
auf Christus hinweist, so wie es auch die Gottesmutter im heutigen Evangelium
tut: „Siehe ich bin die Magd des Herrn! Mir geschehe nach Deinem Wort!“ Anders
ist das Gold, das glänzt, nicht zu haben. Und mag es auch mit einer Tarnfarbe
überzogen sein: An diesem Fingerzeig erkennt man es: am Finger des Johannes,
der auf Gott zeigt, der die göttlichen Linien, die Linien Gottes
nachzeichnet und so beim Menschen ankommt.
Mögest Du, lieber Hans Josef, dereinst - dann reich an Jahren und guten
Werken - erfahren, dass dieser andere Finger, der göttliche Finger, einmal liebevoll
auf Dich selbst deutet und sein Glanz dann auch auf Dich fällt und auf Dir ruht, seinem Geschöpf, seinem Menschenkind, das zumindest versucht hat, seinen Auftrag zu erfüllen, nämlich mit all denen, mit denen es ein Leben lang unterwegs war, ein wenig mehr Mensch
zu werden! Das wäre eine glanzvolle Zukunft, die Du nicht einfordern, die Du
aber erhoffen darfst – und wir für Dich und mit Dir! Das ist Gold wert! Amen!
Frankfurt, am 8. Dezember 2010 Rolf Glaser