Es war eine kleine Premiere für das „Hedwigsforum – Kirche der Welt“. Zum ersten Mal fuhr eine Gruppe von neun jungen Leuten zu einer Begegnungsreise nach Tschechien. Nachdem das Experiment „Firmkurs in Rumänien“ bereits zweimal positiv gelaufen war, ging es jetzt um eine ganz normale Begegnungsfahrt in ein osteuropäisches Land. Das Erzbistum Olmütz in Mähren ist ein Partnerbistum des Bistums Limburg; dazu hatten wir ja schon eine Gruppe Jugendlicher von dort bei unseren „Internationalen Tagen der Begegnung“ vor drei Jahren zu Gast. Grund genug, einmal selbst dort hinzufahren und zu schauen, wie es dort so zugeht.
Fünf Tage lang waren wir unterwegs: Neun junge Leute aus unserer Gemeinde, begleitet von Pastoralreferent Rolf Müller und unserem „Tschechienexperten“ Peter Hoffmann aus dem Hedwigsforum. Es war eine Fahrt, die es in sich hatte. Mit tollem Programm, vielen Begegnungen und natürlich ganz vielen Eindrücken. Da war der Besuch im deutsch-tschechischen Begegnungszentrum in Mährisch-Trübau, wo wir viel über die Geschichte der deutschen Bevölkerung in Tschechien erfahren konnten. Besonders beeindruckend war der Besuch des ehemaligen Dorfes Altwasser. Nach Zerstörung des Dorfes durch die Kommunisten blieb nur noch die alte Wallfahrtskirche des Ortes übrig; diese lag dann fast vierzig Jahre inmitten eines Truppenübungsplatzes. Nur noch mit den Grundmauern und übersät von Graffitis und Einschusslöchern erzählt sie viel von der bewegten Geschichte des Landes. Umso beeindruckender war dann die Begegnung mit den tschechischen Pfadfindern an diesem Ort, die sich mit viel Einsatz und Liebe um die Erhaltung der Reste kümmern. Ein bewegendes Zeichen der Verständigung und des Friedens.
Zu Gast waren wir bei einem Jugendtreffen der Erzdiözese Olmütz. In Kleingruppen kamen wir mit den tschechischen Jugendlichen ins Gespräch. Es war spannend: Auf der einen Seite gibt es viele Unterschiede in der Art und Weise, Kirche zu sein in beiden Ländern. Auf der anderen Seite verbindet uns das gemeinsame Christsein über alle (Sprach-)grenzen hinweg. Ein besonderer Höhepunkt war die Übergabe von tschechischer Erde während des Sonntagsgottesdienstes im bedeutendsten Wallfahrtsort Velehrad, dem besonderen Gedächtnisort der Heiligen Method und Cyrill.
Beim Gespräch mit Jugendlichen und der Führung durch die Kirche und des dazugehörigen bischöflichen Gymnasiums konnten wir viel über das Leben der Christen in Mähren erfahren. Sehr interessant war auch das Gespräch mit dem Erzbischof von Olmütz, Jan Graubner, der ja schon einmal selbst Gast bei uns in St. Hedwig gewesen ist. Er hat sich viel Zeit für uns genommen, um sich mit uns über Glaube und Kirche zu unterhalten.
Noch viel wäre über diese Fahrt zu berichten, wofür der Platz hier nicht ausreicht: Die grandiosen Kunstwerke in Kremsier und die Altstadt von Olmütz, die tollen Abende in Olmütz, das viele Lachen und auch der Zeitstress, den uns unser umfangreiches Programm oft machte. Der Abschluss in Prag im besten Frühherbstwetter und die Gastfreundschaft überall.
„Erlebnisse, die man nicht vergisst und für die sich diese Reise gelohnt hat“ – so hat es ein Teilnehmer auf den Punkt gebracht. Dank sei an dieser Stelle all unseren Gastgebern gesagt; ganz besonders aber unserem Organisator Peter Hoffmann, der durch seine Kontakte diese Fahrt möglich gemacht hat. Ebenso hat uns Peter Krizek in Tschechien immer und überall kompetent herumgeführt, gedolmetscht und vieles mehr! Mit Sicherheit hat uns diese Fahrt Lust auf mehr Begegnung mit den Menschen aus Mittel- und Osteuropa gemacht!
Rolf Müller, Pastoralreferent
Gesendet am Freitag, 4. November 2011 in der Reihe „Übrigens“ auf hr 4.
Altwasser
Im letzten Monat war ich mit einer Gruppe Jugendlicher für einige Tage in Tschechien. Wir wollten dort mehr von der bewegenden Geschichte des Landes erfahren und mit jungen Menschen über ihr Leben und ihren Glauben ins Gespräch kommen. Besonders hat mich der Besuch eines eigentlich nicht mehr vorhandenen Dorfes in Mähren bewegt. Es heißt „Stara Voda“, auf deutsch: „Altwasser“. Der Ort hat eine spannende Geschichte. Im siebzehnten Jahrhundert wurde dort eine barocke Wallfahrtskirche zur Heiligen Anna errichtet; eine lebendige Wallfahrt etablierte sich. Nach dem zweiten Weltkrieg aber musste die gesamte, fast ausschließlich deutsche Bevölkerung den Ort verlassen. Alle Häuser wurden abgerissen. Das gesamte Land wurde zum militärischen Sperrgebiet. Einzig die alte Wallfahrtskirche blieb stehen. Aber seitdem diente sie russischen Militärs als Munitionslager; Figuren und Altarschmuck wurden aus ihr entfernt. Erst seit der Wende im Jahr 1989 kann man das Areal wieder besuchen. Der Anblick der alten Kirche hat mich sehr berührt. Der Bau steht zwar noch, aber er ist von der Geschichte schwer gezeichnet: Im ganzen Innenraum finden sich russische Graffitis, die die alten Fresken überdecken. Einschussstellen sind an vielen Stellen noch sichtbar. „Eine verwundete Kirche“ – so hat es ein Jugendlicher mir gesagt. Das hat für mich gepasst. Die Kirche trägt die Wunden von Krieg, Vertreibung und kommunistischer Herrschaft an sich.
Umso beeindruckender waren die Menschen, denen wir in Altwasser begegnet sind. Es waren tschechische Pfadfinder. Zusammen mit vielen anderen – auch deutschen Organisationen – kümmern sie sich um den Ort und die Kirche. So versuchen sie mit unendlich viel ehrenamtlicher Arbeit, die Kirche zu sichern und instand zu halten. Sie befreien das Areal des Dorfes von Gebüsch und Unrat, um daran zu erinnern, was dort einmal gestanden hat. Sie begreifen ihre Arbeit als Dienst an der Aussöhnung von Tschechen und Deutschen.
Kurz vor unserem Besuch hatten sie gerade das alte Denkmal für die Gefallenen von Altwasser aus dem ersten Weltkrieg wiederhergestellt. Rechts und links vom Denkmal wurden zwei Bäume gepflanzt: Eine Linde für Tschechien, eine Eiche für Deutschland. In einem Schreiben zu diesem Denkmal heißt es: „Sollen niemals mehr Denkmäler für die in irgendwelchen Kriegskonflikten Gefallenen gebaut werden müssen! Aus den Splittern der Vergangenheit legen wir das Fundament für eine neue Zukunft!“
Viel zu oft höre ich heute von Europa nur noch im Zusammenhang von Wirtschaftskrise und Euro sprechen. Was ich in Altwasser gesehen habe, zeigt mir viel mehr: Das Heilen von alten Wunden, Versöhnung und eine gemeinsame friedliche Zukunft. Das heißt für mich Europa.
Rolf Müller, Pastoralreferent